Aus dem Leben der Edellibellen

Odonata: Anisoptera, Aeshnidae

Beobachtungen und Bemerkungen zur Biologie von Edellibellen am Beispiel der Blaugrünen Mosaikjungfer, Aeshna cyanea ( O. F. Müller, 1764)


Einleitung

 

Ob am heimischen Gartenteich, bei einem Spaziergang im Wald, einer Fahrradtour durch Wiesen und Auen oder am Strand eines Badesees; fast ein Jeder ist ihr schon einmal begegnet. Doch wie wir erst unlängst aus der mannigfaltigen Reaktion auf einen von uns angeregten Artikel in der Lokalpresse erfahren haben, wissen nur sehr wenige Menschen, was das für eine Libelle ist, die sie bei ihren eleganten Flugmanövern wahrnehmen und die sich ihnen dabei zeitweise „bedrohlich“ nähert. Die Tatsache, dass die Blaugrüne Mosaikjungfer während ihrer Jagdflüge wenig Scheu vor Menschen zeigt, löst bei diesen oft Reaktionen aus, die sich, basierend auf deren Unkenntnis, von starkem Abwehrverhalten durch hektische Bewegungen der oberen Extremitäten bis hin zur panikartigen Flucht äußern. Nicht wenige sind nach wie vor der irrigen Meinung, dass von Libellen eine potentielle Gefahr ausgeht. Glauben sie doch von gut informierten Zeitgenossen gehört oder vor einiger Zeit irgendwo gelesen zu haben, dass diese „Teufelsnadeln“, wie sie im Volksmund oft betitelt wurden, mit drei Stichen einen Menschen und mit sieben gar ein Pferd zu töten vermögen. Die im Englischen gebräuchliche Bezeichnung für Großlibellen „Dragonflies“ - übersetzt „Drachenfliegen“ – mag dazu beigetragen haben, die Furcht vor diesen großen Insekten zusätzlich zu schüren.

Die instinktive Verhaltensweise der Blaugrünen Mosaikjungfer, in geringer Höhe von ein bis zwei Metern durch Gärten, an Hecken und Waldrändern hin und her zu fliegen, plötzlich schnell beschleunigend davon zu schießen, im nächsten Moment wieder aufzutauchen, um dann „rüttelnd“ auf der Stelle fliegend, meist aus wenigen Zentimetern Entfernung einen Menschen zu „mustern“, hat den Libellen im Allgemeinen, allein aus den vorgenannten Gründen, einen schlechten Ruf beschert.

In den letzten Jahrzehnten hat die Libellenforschung extreme Fortschritte erfahren dürfen. Namhafte und profilierte Wissenschaftler publizierten viele ihrer Arbeiten mit dem Ziel, die Lebensweise der Libellen auch für Laien leicht verständlich zu machen. Dabei erhielten und erhalten sie noch heute eine nicht zu unterschätzende Unterstützung von zahlreichen Hobbyodonatologen, welche ihrerseits bestrebt sind, einer breiten Bevölkerung die Faszination, die Schönheit und die Nützlichkeit der Lebensform „Libelle“ zugänglich zu machen. Durch diese Bemühungen gelang es, zumindest Schrittweise, das Ansehen der Libellen vom ehemaligen „Augenschießer“ oder „Pferdetod“ bis hin zum aktuellen „Schädlingsvertilger“ oder „Bioindikator für Wasserqualität“ zu ihren Gunsten ändern.

 

„Wollte man den Begriff ‚Kulturfolger‘ auch auf eine Libelle anwenden, wäre die Blaugrüne Mosaikjungfer wohl der aussichtsreichste Kandidat“. (Peters 1987, 73).

 

Nicht zuletzt aus diesem Grund haben wir dieser Edellibellenart während den letzten 10 Jahren unsere erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet. Wir hatten Gelegenheit, die Tiere in ihren Habitaten intensiv  zu beobachten und dabei ihre Verhaltensweisen zu studieren. Während unzähliger Exkursionsstunden, geprägt von außerordentlicher Geduld und manchen widrigen Witterungs-bedingungen, wie auch bei plötzlich aufkommender Spannung während der tagesphänologisch erhöhten Aktivität dieser Edellibellenart konnten Naturdokumente angefertigt werden, die - Dank der modernen Digitalfotografie - detaillierte Einblicke in das etwa 3 Monate dauernde und durchaus harte Leben der Imagines der Blaugrünen Mosaikjungfer offenbaren.

 

Kapitel 1:

 

1.1: Dimensionen und Gewichte

 

Mit einer Körperlänge von 74 bis 85 Millimetern sind beide Geschlechter von Aeshna cyanea annähernd gleich groß. Das Körpergewicht der Männchen liegt bei Ø 0.7 Gramm. Die Weibchen sind mit Ø 0,9 bis 1,1 Gramm nur unwesentlich schwerer, da ihr Abdomen etwas kräftiger ausgebildet ist. Die Flügelspannweite fällt bei den Männchen mit Ø 102 Millimetern etwas kleiner aus als bei den Weibchen, die eine Flügelspannweite bis zu 105 Millimetern aufweisen können. Diese, etwas größere Flügelfläche gegenüber den Männchen, ist vermutlich auf das höhere Körpergewicht zurückzuführen.


1.2: Jahresphänologie

 

Der Beginn der Schlupfperiode hängt stark von den lokalen Temperaturen der Entwicklungsgewässer ab und kann, hierdurch bedingt, von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich sein. In überdurchschnittlich warmen Frühjahren, in welchen sich das Wasser entsprechend früh erwärmt, klettern die ersten Larven schon gegen Ende Mai an vertikalen Strukturen empor, um sich in geringen Höhen bis ca. 50 Zentimeter zur Imago zu häuten. Die Emergenzen beginnen dabei zumeist in relativ warmen Nächten zwischen 21.00h und 24.00h.  Sind die Nächte kühl oder regnerisch, kann die Imaginalhäutung auch am Vormittag erfolgen. Unter optimalen Bedingungen dauert die Metamorphose vom Aufplatzen der Kutikula bis zum Jungfernflug etwa vier Stunden.


Unsere früheste Beobachtung von schlüpfenden Tieren gelang nach einem durchweg warmen Frühling im Morgengrauen des 1. Juni 2011 an einem kleinen Gewässer im Nuthe-Urstromtal in Brandenburg.


Der Zeitraum, in dem die Tiere schlüpfen, kann sich insgesamt über drei Monate erstrecken, sodass die letzten schlupfbereiten Larven Ende August und in Ausnahmefällen erst zum Beginn des September das Wasser verlassen. Die Hauptschlupfzeit der Art ist jedoch der Juli.

Mit den ersten Sonnenstrahlen des Tages verlassen die jungen Libellen den Ort ihrer Metamorphose. Während ihrer ein- bis fast zweimonatigen Reifezeit und darüber hinaus bevorzugen die Imagines Orte weit abseits ihrer Ursprungsgewässer. Sie können häufig an Waldrändern und -wegen, über Feuchtwiesen oder zwischen windgeschützten Hecken und Buschgruppen beobachtet werden, wo sie im Flug nach Insekten jagen.


Ein Männchen der Blaugrünen Mosaikjungfer, Aeshna cyanea, während eines  Jagdfluges über Feuchtwiesen.

 

Da sich Aeshna cyanea bekanntlich häufig in bevorzugt fischfreien Gartenteichen entwickelt, kommt es nicht selten vor, dass sich das ein oder andere Individuum durch die offen stehende Tür einer nahen Veranda in menschliche Behausungen verirrt. Um die Edellibelle möglichst schonend wieder in die Freiheit zu entlassen, empfiehlt es sich, den Raum kurzzeitig abzudunkeln. Alsbald wird sich das große, sehr schön anzusehende und für den Menschen völlig harmlose Insekt irgendwo niedersetzen.


Ein junges Weibchen der Blaugrünen Mosaikjungfer, Aeshna cyanea, ruht an der Wand in unserem Wohnzimmer.

Nachdem es in dem etwas abgedunkelten Raum bereitwillig auf den dargebotenen Finger gestiegen ist, wird das Tier durch die Tür, durch die es eingeflogen ist, behutsam hinausgetragen und wieder in die Freiheit entlassen.

Bei diesem Exemplar handelt es sich um ein junges Weibchen, dessen  normalerweise grünen Hinterleibsflecken blau gefärbt sind. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine vorübergehende Jugendfärbung, die nicht immer auftritt. (Sternberg/Buchwald 1999, 2, 52)


Dem Phänomen, dass die Männchen auch nach Erreichen der Geschlechtsreife den Gewässern weitestgehend fernbleiben, steht offensichtlich großer Konkurrenzdruck  gegenüber. Da in den Monaten Juli und August die meisten Gewässer noch von der Großen Königslibelle, Anax imperator, als Reviere beansprucht werden, würden sie hier ständig vertrieben. So suchen die adulten Aeshna cyanea-Imagines  zwischenzeitlich Habitate auf, wo dieser übermächtige Rivale fehlt. Da die Flugzeit der Blaugrünen Mosaikjungfer erst sehr spät im Jahr endet, haben viele Individuen im Spätsommer noch reichlich Zeit zu ihren angestammten Gewässern zurückzukehren, da die direkten Konkurrenten dann schon verschwunden sind. Bei Vergesellschaftungen mit anderen spät im Jahr fliegenden Aeshniden wie der Torf-Mosaikjungfer, Aeshna juncea, oder der Braunen Mosaikjungfer, Aeshna grandis, ist Aeshna cyanea ebenfalls unterlegen.


An solch einem Teich beherrscht die Große Königslibelle, Anax imperator, bis Ende August den Luftraum. Die Blaugrüne Mosaikjungfer fliegt daher erst spät im Sommer hier ein und ist somit weit weniger Konkurrenzdruck ausgesetzt. Dieser gipfelt dann zumeist unter Artgenossen, die sich bisweilen heftige Luftkämpfe liefern. Auf dieses Thema werden wir im Kapitel 2.2:  „Territorialverhalten“ noch zu sprechen kommen.


Im Spätsommer ist Aeshna cyanea, bedingt durch ihre relative Anspruchslosigkeit und niedrigen Habitatansprüchen, an fast allen Gewässern anzutreffen. Hier patrouillieren die Männchen in geringer Höhe zwischen 0,5 und 1,5 Metern und suchen in teils unruhigem Flug und teilweise kurz auf der Stelle „rüttelnd“ die dichte Ufervegetation nach Weibchen ab und attackieren dabei fast gleichzeitig die wesentlich kleineren Heidelibellenarten, die in hoher Individuendichte mit ihren Fortpflanzungsaktivitäten beschäftigt sind.

Wenn die Tage mit Beginn des Herbstes kürzer werden, nutzen die Blaugrünen Mosaikjungfern bei entsprechend milder Witterung und Sonnenschein nur noch ein kurzes Zeitfenster für ihre Aktivitäten. Die beste Zeit, die Tiere aus nächster Nähe beobachten und dokumentieren zu können, liegt zwischen Mitte September und Anfang November um die Mittagszeit, etwa zwischen 11.30h und 14.00h. Die ansonsten als Dauerflieger bekannten Edellibellen patrouillieren dann zwar immer noch am Wasser, unterbrechen ihre Flüge aber sehr häufig zu ausgedehnten Ruhepausen an sonnenexponierten Plätzen in niederer Vegetation, etwa 0,5 Meter über dem Boden.


Ein Männchen der Blaugrünen Mosaikjungfer, Aeshna cyanea, ruht im Spätherbst ausgiebig an einem sonnigen Platz.

 

Im Herbst suchen die Imagines bereits am Nachmittag höher gelegene Stellen in den Baumkronen auf, wo sie die Nächte verbringen und auf diese Weise auch die ersten Bodenfröste schadlos überstehen.

 

In der aktuellen Literatur wird das Ende der Flugzeit der Art für Ende Oktober bis Anfang November (Wildermuth/Martens 2014, 292) angegeben. Sternberg/Buchwald (1999, 2, 41) berichten über späteste Fundmeldungen vom 02. November 1984 (Strub & Siegenthaler) im Schweizer Mittelland sowie vom 06. November 1962 (EB. Schmidt) in einem Moor nordwestlich von Kiel. Eigene, sehr spät im Jahr dokumentierte Paarungsaktivitäten von Aeshna cyanea erfolgten am 23. November 2014 bei 16°C an einem teils von Wald umgebenen und um die Mittagszeit voll besonnten Teich in der klimatisch begünstigten Kölner Bucht. Die Art konnte im gleichen Gebiet bei entsprechend günstiger Witterung auch noch in den ersten Dezembertagen beobachtet werden. (Jochen Rodenkirchen, pers. Mittlg.)

 

1.3: Tagesphänologie

 

Anders als die meisten Edellibellenarten, die erst im Laufe des Vormittags mit ihren Aktivitäten am Wasser beginnen, kann Aeshna cyanea während ihrer Hauptflugzeit schon in den frühen Morgenstunden bei ihren ersten Flügen beobachtet werden. Nach sehr warmen Nächten suchen einzelne Männchen bereits zwischen 06.00h und 07.30h die Gewässer zu einer kurzen „Inspektion“ auf und begeben sich anschließend auf Nahrungssuche im weiten Umfeld. Während dieser Zeit erscheinen vereinzelt Weibchen am Wasser, um in Ruhe ihre Eier ablegen zu können. Bei einer geringen Männchendichte können Eiablagen jedoch auch während des gesamten Tages beobachtet werden. Zwischen 08.00h und 09.00h kehren die Männchen wieder an die Teiche zurück, wo sie dann ausdauernder auf der Suche nach Weibchen patrouillieren.


Sind die Reproduktionsgewässer - wie im Falle unserer Studien - zum größten Teil voll besonnt, sodass es im Laufe des Tages dort zu heiß wird, suchen die Männchen bereits am späten Vormittag gut beschattete Bereiche auf, wo sie jagen und sich allenfalls in den Wipfeln der Bäume kurz sonnen. Erst wenn die Temperaturen sinken oder das Gewässer von den umliegenden Bäumen zumindest teilweise beschattet wird, kehren sie dorthin zurück, um ausdauernd in der Ufervegetation nach Weibchen zu suchen. Bei moderatem Sommerwetter hingegen sind die Männchen den gesamten Tag über unmittelbar an den Teichen anzutreffen.

Lässt die Aktivität der Männchen am Gewässer am späten Nachmittag merklich nach, erscheinen wieder vermehrt Weibchen, die teilweise bis tief in die Nacht mit  der Eiablage beschäftigt sind.

In der uns vorliegenden Literatur wird Aeshna cyanea des Öfteren als eine Art beschrieben, die von der Dämmerung bis zum Einbruch der Nacht, etwa im Kronenbereich von Bäumen und dergleichen, nach Insekten jagt; (Timm 1902, Fröhlich, 1903, Münchberg 1930, ER. Schmidt, 1938 etc.  Seltsamerweise träfe das nur auf die Weibchen der Art zu. (Sternberg/Buchwald 1999, 2, 42))

 

Eigene Beobachtungen ergaben jedoch, dass auch die Männchen, z. B. durch in Gärten nahegelegener Wohnungen dringendes Licht dazu animiert werden, in der Dunkelheit zu fliegen. Die folgenden Flugaufnahmen eines Männchens entstanden an einem lauen Spätsommerabend, am 01. September 2009,  um 21.37h.

 

Das Weibchen, das auf der folgenden Aufnahme zu sehen ist, flog am 03. September 2010 um 23.05h, vermutlich ebenfalls durch eine Lichtquelle unseres Hauses angezogen, einen Fensterrahmen unter der Veranda an. Dort verweilte es noch lange, selbst nach dem das Licht gelöscht wurde.


Ein Weibchen der Blaugrünen Mosaikjungfer kurz nach 23.00h am Fensterrahmen unserer Veranda.

 

Ansonsten führen die Weibchen der Blaugrünen Mosaikjungfer wie die meisten artfremden Geschlechtsgenossinnen ein sehr zurückgezogenes Leben und kommen -wie bereits erwähnt - nur zu Paarungs- und Eiablagezwecken in die Nähe der Reproduktionsgewässer.


Dieses junge Weibchen konnte weitab von jeglichen, als Lebensraum in Frage kommenden Gewässern, in dichter Vegetation versteckt, gefunden werden.

 

Kapitel 2: 

 

2.1: Jagdstrategien

 

Die Blaugrüne Mosaikjungfer ist kein Ansitzjäger, der von einer Sitzwarte aus seine Beute erspäht, sie dann verfolgt und anschließend schlägt. Vielmehr werden potentielle Opfer aus der Bewegung im Flug geortet, mit hoher Geschwindigkeit horizontal angeflogen oder aus geringer Höhe von unten im Steigflug angegriffen. Kleinere Beutetiere werden, nachdem sie mit den Beinen, die eine Art „Fangkorb“ bilden, ergriffen wurden, während des Fluges gefressen. Nach dem Schlag von größeren Opfern, wie etwa Schmetterlingen, setzen sich die Imagines zum Verzehr ihrer Beute in der Vegetation ab.

 

In der Fachliteratur wird Aeshna cyanea als „Schneisen- und Buschkantenjäger“ bezeichnet. (Peters, 1987, 68). In den Monaten September und Oktober ist diese Edellibellenart in ihrer Lebensweise besonders gut zu studieren. Unseren Beobachtungen zufolge verlassen die Männchen zu dieser Jahreszeit etwa zwischen 14.00h und 14.30h die Gewässer, um im Umfeld zu jagen. Die Teiche, an denen wir  unsere Langzeitstudie durchführten, grenzen unmittelbar an eine lichte Streuobstwiese sowie eine Schafkoppel, welche durch große Mengen von Fallobst und Dung extrem fliegenträchtig sind.

Zeigten die Imagines noch bis vor wenigen Augenblicken, an denen sie am Gewässer patrouillierten, eine hohe Aggressivität gegeneinander, bilden sie nun kleine Jagdgruppen, wobei sie einander kaum oder gar nicht beachten, sondern recht erfolgreich Fliegen- und Mückenschwärme in ihrem Bestand stark dezimieren.

Vor den durch süßlichen Duft der faulenden Äpfel und Pflaumen angezogenen Wespen macht die Blaugrüne Mosaikjungfer auch nicht halt.


So werden hin und wieder auch durchaus wehrhafte Insekten geschlagen. Ein Männchen hat (vermutlich) eine Waldwespe, Dolichovespula sylvestris, erbeutet und sucht auf einem ungünstigen Landeplatz nach Halt, um die Beute zu verspeisen. Hierdurch ist etwas  „Bewegung“ im Bild. Sehr wahrscheinlich ließ die Edellibelle wegen einer zu heftigen Bewegung des Fotografen ihr Opfer wieder los. Scheinbar etwas  verdutzt, schaut dieses Männchen der Blaugrünen Mosaikjungfer dem herab fallenden Abdomen seines Beutestückes hinterher.


2.2: Territorialverhalten

 

Aeshna cyanea gilt als sehr ortstreu. Früh im Jahr geschlüpfte Männchen besetzen nach Erreichen ihrer Geschlechtsreife entsprechend früh ihre Reviere an den angestammten Gewässern. Da die Tiere über ein Erinnerungsvermögen verfügen, kehren sie auch immer wieder, beispielsweise nach in den Baumwipfeln verbrachten Nächten, an ihre angestammten Fortpflanzungshabitate zurück, um in intensivem Suchflug die Ufervegetation nach Weibchen abzusuchen. Dabei beansprucht ein Individuum ein Territorium von einer gewissen Größe, sodass kleinere Teiche oft nur für ein einziges Männchen als Revier ausreichend sind. Bei größeren Weihern werden die besetzten Territorien von den Männchen stark abgegrenzt. Mit zunehmender Männchendichte infolge von später einfliegenden Individuen wird der Konkurrenzdruck sichtlich größer.


An diesem etwa 200 m2 großen, voll besonnten Teich, hielten sich in den letzten Jahren während unserer Beobachtungen zur Hauptflugzeit bis zu vier Männchen gleichzeitig auf.

Während den Suchflügen nach Weibchen waren ständige Begegnungen daher an der Tagesordnung. Die daraus resultierenden, teils heftigen Luftkämpfe, bei denen sich die Kontrahenten oft um sich selbst drehend in die Höhe schraubten, gegenseitig über weite Strecken jagten, sich nicht selten ineinander verhakten oder mit deutlich hörbaren Geräuschen kollidierten, hinterließen bei manch einem Exemplar deutliche Verletzungen unterschiedlichster Art, die sie jedoch nach einer kurzen Erholungspause nicht daran hinderten, den Konkurrenzkampf um die Gunst der Weibchen wieder aufzunehmen.


Ein vollständig abgerissener linker Vorderflügel beim Männchen # 1 sowie ein stark eingeknicktes Abdomen beim Männchen # 2 sind nur zwei Beispiele von den Ausgängen solcher Auseinandersetzungen.


Die völlig zerfetzte Stirn dieses Männchens zeugt vor der Härte der jeweiligen Revierkämpfe. Auch dieses Tier setzte trotz seines erheblichen Handicaps den Konkurrenzkampf am Gewässer scheinbar unbeeindruckt fort.


Dieser, bei hoher Männchendichte, über Stunden anhaltender Stress verlangt nach Ruhepausen, bei denen sich die Rivalen völlig entkräftet in der niederen Vegetation absetzen müssen. Offensichtlich scheint dabei die Anwesenheit des Nebenbuhlers in unmittelbarer Nähe nur eine untergeordnete Rolle zu spielen?


Zwei Männchen sitzen nach andauernder Verfolgungsjagd und Revierkämpfen  erschöpft nahe beieinander in der Vegetation unweit eines kleinen Teiches.


Dass zwei verfeindete Konkurrenten, scheinbar am Ende ihrer Kräfte, für einen kurzen Moment direkt nebeneinander ruhen, scheint eher eine Ausnahmesituation zu sein?

 

Im Normalfall kehrt der Sieger eines Luftduells unmittelbar nachdem der Rivale vertrieben worden ist, gleich wieder in „sein“ Revier zurück, um die Suche nach paarungsbereiten Weibchen fortzusetzen. Auf diese Weise kann ein Revier täglich mehrfach seinen Besitzer wechseln.


Kapitel 3:

 

3.1: Fortpflanzungsverhalten

 

Im Laufe eines Tages werden die Suchpatrouillen der Männchen am Gewässer mehrfach durch Jagdeinlagen unterbrochen. Bei derartigen Beobachtungen sind die Unterschiede des Flugstils, also ob sich die Libelle im „Such- oder Jagdmodus“ befindet, sehr deutlich erkennbar.

Direkt am Wasser patrouillierende Männchen suchen die Ufervegetation sowie etwaige Lücken derselben, langsam vorwärts fliegend und zeitweise in kurzen Rüttelphasen verharrend, in nur wenigen Zentimetern Entfernung nach Weibchen ab. Nach Kaiser (1974) erkennen die Männchen anfliegende Weibchen auf etwa 5 Meter Entfernung, welche dann augenblicklich zu Kopulationszwecken verfolgt werden. Die vorzüglich getarnten Weibchen, die ruhig in der Vegetation sitzen, werden jedoch nur aus sehr geringen Abständen von nur wenigen Zentimetern wahrgenommen.

 

In diesem Fall unterbrach ein Männchen seinen Suchflug, um sich offensichtlich kurz im Gestrüpp an einer Hecke auszuruhen. Das etwa 30 Zentimeter von ihm entfernt ruhende Weibchen wurde von ihm dabei vollkommen übersehen.

 

Den Patrouillenflug zeigen die Männchen nur an den Paarungsgewässern. Sternberg/Buchwald 1999, 2, 53. Nach eigenen Beobachtungen der letzten Jahre fanden wir regelmäßig eindeutig patrouillierende Männchen in Entfernungen von etwa 50 Metern und mehr an Hecken und Büschen vor. Hierbei handelte es sich offensichtlich um solche Individuen, die von den Revierbesitzern direkt am Wasser vertrieben wurden. Dort waren die Männchen bei ihren Suchflügen nicht minder erfolgreich als ihre Artgenossen, die unmittelbar an den Fortpflanzungsgewässern nach Weibchen suchten. Abseits der Gewässer kam es bei den Patrouillen allerdings hier und dort zu interspezifischen Kopulationsversuchen mit Weibchen der Herbst-Mosaikjungfer, Aeshna mixta, oder mit anderen artgleichen Männchen, die sich am Rand der Hecke sonnten. „Reguläre“ Paarungsräder konnten gleichermaßen sowohl in unmittelbarer Nähe zum Wasser, in der Ufervegetation, als auch an der über  50 Meter entfernten Hecke, jeweils in 0,5 bis 1,5 Metern Höhe, dokumentiert werden.


Eine weitere Beobachtung zum Paarungsverhalten eines Männchens ergab, dass dieses Exemplar seinen Patrouillenflug unterbrach, um in horizontaler Haltung und an trockenen Strukturen in Gewässernähe über mehrere Minuten eine Art „Greifübung“ mit seinen Cerci durchzuführen. Für dieses Verhalten haben wir (noch) keine plausible Erklärung.


Am Gewässer eintreffende und Eier legende Weibchen werden ebenfalls nur aus geringer Entfernung durch die Vibration ihrer Flügel wahrgenommen.


Ein Weibchen der Blaugrünen Mosaikjungfer bei der Eiablage auf einem Moospolster, unmittelbar an der Wasserlinie eines kleinen Teiches.

 

Kommt es zu einer solchen Sichtung, versucht das Männchen seine potentielle Partnerin noch während des Eiablagevorgangs zu ergreifen.


Paarungsunwillige Weibchen signalisieren ihre Stimmung während des Fluges, indem sie ihren Hinterleib stark nach unten krümmen. Eierlegende oder ruhende Weibchen krallen sich in der Regel solange am Substrat fest, bis die Männchen sie wieder los lassen. In diesem Fall war das Männchen jedoch erfolgreich und flog mit dem nun angekoppelten Weibchen in die nahegelegenen Baumkronen. 

 

3.2. Die Paarung

 

Wie bei allen anderen Libellenarten bestimmen in der Regel die Weibchen über den Erfolg oder Misserfolg einer Paarung. Sobald sich ein paarungswilliges Weibchen von einem Männchen hat „finden lassen“, wird es mit den Hinterleibsanhängen des Partners ergriffen und in den meisten Fällen unmittelbar danach in nahe stehende Bäume „entführt“. Dabei kommt es bereits im Steigflug zur Bildung des Paarungsrades. Die etwa 90minütige Kopula findet dann in Höhen von über 10 Metern statt.

Etwa zum Wechsel vom Spätsommer zum Herbst und zu späteren Zeiten scheint sich dieses Verhalten zu ändern. Offensichtlich machen sich einige, teilweise schon sehr betagte Männchen nicht mehr die Mühe mit ihren Partnerinnen hochgelegene Plätze anzufliegen. Stattdessen bevorzugen sie vertikale Strukturen zwischen 0,5 und 1,5 Metern Höhe in Gewässernähe, um sich an diesen Orten mit den Weibchen zu paaren. Dieses Verhalten konnte von uns im Untersuchungsgebiet in den letzten Jahren jeweils zwischen der letzten September- und der ersten Novemberdekade regelmäßig beobachtet werden. Die folgenden Aufnahmen von Paarungsrädern der Blaugrünen Mosaikjungfer in niederer Vegetation stammen aus den genannten Zeiträumen der letzten drei Jahre.

 

Bei allen Paarungen von Aeshna cyanea im Herbst kam es am 03. November 2014 bei 16°C, sonnigem Wetter und böigem Wind zu der bisher einzigen Dokumentation eines ruhenden Tandems der Art: Nachdem das Weibchen vom Männchen am Gewässer  ergriffen wurde, flog das Paar ca. 50 Meter über eine Wildwiese, um sich danach in etwa 1,5 Metern Höhe an einem verdorrten Pflanzenstengel abzusetzen.


Ein ruhendes Pärchen der Blaugrünen Mosaikjungfer in Tandemformation. Aufgrund dieser einmaligen Beobachtung sowie keinerlei zu findenden Hinweisen in der aktuellen Fachliteratur gehen wir davon aus, dass es sich hier um eine absolute Ausnahmesituation handelt.

Das Paar wechselte nach mehreren Minuten, wohl nicht zuletzt wegen des herrschenden Windes, seinen Platz und wählte dabei eine windgeschützte Stelle  etwa 5 Meter weiter und ca. 0,5 Meter über dem Boden.

 

Nur an einem dünnen Halm hängend, wurde die Paarung während einer guten Stunde vollzogen.

 

3.3. Eiablage

 

Nach der Paarung fliegen die Weibchen nicht immer gleich zur Eiablage an die Gewässer. Obwohl Eiablagen über den gesamten Tag verteilt beobachtet werden konnten, war es offensichtlich, dass die meisten Weibchen erst dann zu diesem Zweck das Wasser aufsuchten, wenn die Männchendichte nur gering war. So gelang es einigen Tieren - von uns und den Männchen unbemerkt – das Eiablagesubstrat zu erreichen, wo sie lediglich durch das Rascheln ihrer Flügel ihre Anwesenheit verrieten. Eiablagen von Aeshna cyanea konnten sowohl in vertikaler als auch horizontaler Position beobachtet werden. Die an vertikalen Strukturen ablegenden Weibchen tauchten dabei mit ihrem Abdomen niemals unter die Wasseroberfläche, sondern blieben stets einige Zentimeter darüber, um ihre Eier in totes Pflanzengewebe einzustechen. Ovipositionen in horizontaler Haltung erfolgten oft  an bemoosten Stellen, die etwa einen Meter von der Wasserlinie entfernt lagen.

 

Einige Weibchen flogen mehrfach für eine Eiablage durchaus ungeeignete Flächen an. So wurden zum Beispiel harte, dicke und tote Baumstämme und Strukturen aus Waschbeton angeflogen. Dabei „testeten“ die Weibchen ihre Unterlagen durch hin- und her wippen des Abdomens mit abgespreiztem Legeapparat auf Tauglichkeit. Nach mehreren Versuchen flogen sie unverrichteter Dinge wieder davon.


3.4. Kampf der Geschlechter

 

Wie bei anderen Libellenarten auch, entscheiden die Weibchen über den Zeitpunkt ihrer Paarungsbereitschaft. Nachdem ein Männchen ein paarungsunwilliges Weibchen  ergriffen hat, dauert es unterschiedlich lange, bis das Männchen kapiert, dass seine Bemühungen erfolglos bleiben und es schließlich aufgeben muss. Eine derartige Beobachtung konnte Anfang November 2014, um die Mittagszeit, etwas weniger als hundert Meter vom Gewässer entfernt in Bildern festgehalten werden.

Diese „Kampf der Geschlechter“ dauerte vom Zeitpunkt des Auffindens bis zur Aufgabe des Männchens etwa 15 Minuten. Wir wurden durch lautes Flügelrascheln aufmerksam und fanden die folgende Situation vor:

 


Ein Männchen hat ein Weibchen mit seinen Hinterleibsanhängen ergriffen. Nun hängt das Paar in einer ungünstigen Haltung in der Vegetation.


Das Männchen versucht nun die Paarung einzuleiten, indem es mehrfach Versuche unternimmt, das Weibchen in eine bessere Position zu manövrieren. Hierbei pendelt sein Thorax mit Unterstützung der Flügel hin und her, worauf das Weibchen mit Strecken und Beugen des Abdomens reagiert.


Durch mehrfaches Aufschwingen seines Vorderkörpers versucht das Männchen dem Weibchen habhaft zu werden. Dieses hält sich weiterhin krampfhaft an einem kleinen, stacheligen Brombeerzweig fest und kontert mit heftigen Bewegungen des Hinterleibs um seine Lage stabil zu halten.


Die Anstrengungen des Männchens sind während der letzten Minuten derart groß, dass es immer wieder kurze Ruhepausen einlegt. Dabei hängt es kopfunter, nur mit den Cerci am Hinterkopf des Weibchens angekoppelt, frei in der Luft.


Es folgen noch etliche weitere Versuche des Männchens, die alle nach dem gleichen Schema durchgeführt werden. Schließlich gibt es auf und fliegt davon. Das sichtlich erschöpfte Weibchen bleibt noch einige Minuten am Ort des Geschehens zurück.


Kapitel 4:

 

 4.1: Fazit

 

Obwohl die Blaugrüne Mosaikjungfer in ihren Ansprüchen sehr genügsam ist und daher mit vielen Biotoptypen, ob Gartenteiche, Waldweiher, Kiesgruben, Tümpel oder Moorgräben als Lebensraum zurechtkommt, betrachten wir diese, dank ihrer Robustheit noch häufig vorkommende und daher als „Ungefährdet“ eingestufte Spezies nicht als „Allerweltslibelle“. Im Gegenteil; sie ist, wie alle anderen Libellenarten auch, etwas Besonderes.

Durch ihre scheinbar angeborene Neugier dem Menschen gegenüber wurde sie anfangs zwar gefürchtet, doch bekam die Art auch den im Volksmund weit verbreiteten Begriff „Fliegende Edelsteine“ verliehen. Es  hat uns in den letzten Jahren großes Vergnügen bereitet, diese Edellibelle in ihrer Verhaltensweise vom Schlupf bis zur Eiablage zu studieren, was wir auch in Zukunft weiter verfolgen wollen. Nicht zuletzt konnten wir durch unsere ausgiebigen Beobachtungen und fotografischen Dokumentationen einige Passagen in der aktuellen Fachliteratur ergänzen.

Abschließend hoffen wir, dass wir mit dieser unserer Arbeit weitere Vorurteile gegenüber Aeshna cyanea und ihren verwandten Arten beseitigen konnten.

 

Weitere Informationen über die Art sind dem entsprechenden Artenprofil auf dieser Homepage zu entnehmen.

 

Bergheim, im Oktober 2015

 

Absolut empfehlenswert:

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